Emmanuel Joseph Graf Sieyès (seit 1809) gen. Abbé Sieyès
Französischer Revolutionär und Politiker; von Haus aus katholischer Geistlicher. studierte an der Sorbonne Theologie und stieg zum Generalvikar und Kanzler der Diözese von Chartres auf. In das Licht der Geschichte trat er schlagartig, als 1789 seine Schrift Qu'est-ce que le Tiers État? (Was ist der Dritte Stand?) verbreitet wurde, die sich zur einflußreichsten Schrift der Französischen Revolution entwickelte. Der Finanzminister Ludwigs XVI., Jacques Necker hatte die “Öffentlichkeit” anläßlich der bevorstehenden Einberufung der Stände aufgerufen, ihre Gedanken hinsichtlich der Konstitution der Stände vorzutragen. In seiner Schrift verwarf Sieyès alle Standesprivilegien und forderte eine Nation gleichberechtigter Bürger. 1799 trat er ins Direktorium ein und wirkte bei Napoléons Staatsstreich mit, wurde dann aber politisch kaltgestellt. Von 1815 bis 1830 war er verbannt.
Jean-Jacques Régis de Cambacérès Herzog von Parma (seit 1808)
Französischer Jurist und Politiker; wurde nach Robespierres Sturz (1794) Präsident des Konvents und Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, Juni 1799 Justizminister, nach dem 18. Brumaire (9.11. 1799) Zweiter Konsul und unter dem Kaisertum, dessen Gründung er förderte, Erzkanzler. Einer der ergebensten Mitarbeiter Napoléons, widmete Cambacérès sich v.a. der Rechtspflege, entwarf die meisten Senatsbeschlüsse und war maßgeblich an der Schaffung des Code Napoléon beteiligt; in Abwesenheit Napoléons führte Cambacérès den Vorsitz im Kabinett.
Werke u.a.: Lettres inédites à Napoléon (1802-1814, herausgegeben von J. Tulard, 2 Bde., 1973);
Paris, Cimetière du Père Lachaise
Domingo Faustino Sarmiento Albarracín
Argentinischer Staatspräsident (1868-74) und Schriftsteller; als Gegner des Diktators Juan Manuel Ortiz de Rosas (*1793, †1877) mußte er zwischen 1831 und 1855 mehrfach ins Exil gehen, wo er als Journalist arbeitete und sein Hauptwerk, den Essay Civilización y barbarie. Vida de Juan Facundo Quiroga« (1845, dt. Facundo Quiroga oder Zivilisation und Barbarei) verfaßte, in dem er für die postkoloniale Zukunft der lateinamerikanischen Staaten eine Alternative zwischen einer Entwicklung hin zur westeuropäisch geprägten “Zivilisation” und einem Rückfall in die “Barbarei” der Indios und Gauchos entwarf. Diese Formel behielt bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ist diese Formel Diskussionsgrundlage in ganz Lateinamerika. 1842 wurde er Direktor einer Ausbildungsstätte für Lehrer in Santiago de Chile. 1845 später schickte ihn die chilenische Regierung nach Europa und in die Vereinigten Staaten, damit er dort die Bildungssysteme studieren konnte. Nachdem de Rosas am 3.2.1852 in der Schlacht von Monte-Caseros geschlagen war und nach England ins Exil geflohen war, kehrte Sarmiento 1852 nach Argentinien zurück und übernahm mehrere Verwaltungsämter. Von 1862 bis 1864 war er Gouverneur der Provinz San Juan und von 1864 bis 1868 Minister und ab 1865 zusätzlich kurzzeitig Gesandter in Chile und Peru. 1868 übernahm er das Amt des Botschafter in den USA, kehrte aber noch im gleichen Jahr per Schiff nach Argentinien zurück und erhielt unterwegs die Nachricht, daß er zum Präsidenten gewählt worden war und übernahm von Bartolomé Mitre das Amt. 1869 veranlaßte er eine erste Volkszählung, deren Ergebnis ihn veranlaßte, die Immigration zu fördern. In den Jahren nach seiner Präsidentschaft wandte er sich verstärkt der Bildung und Erziehung zu, ein Thema, für das er sich schon zuvor interessiert hatte, und organisierte als Schuldirektor in Buenos Aires das Schulsystem mit dem Ziel, das Analphabetentum zu bekämpfen, und erreichte, daß sich die Zahl der Schüler in Argentinien suksessiv um 75% zunahm. Seinen Namen trägt das 1899 gebautes Segelschulschiff der Marine, das heute als Museumsschiff dient.
Werke u.a.: Obras (53 Bde., 1891-1909).
Inschrift: Una América toda asilo a los dioses todos con lengua, tierra y ríos libres para todos [Ein amerikanisches Asyl allen Götter aller Sprachen, Land und Flüsse frei für alle].
Buenos Aires, Cementerio de la Recoleta
Römischer Politiker; Sohn von Sextus Quinctilius Varus, einem Senator, der im Bürgerkrieg auf Seiten des Senats gegen Caesar Position bezogen hatte und nach der Schlacht von Philippi im Jahre 43 v. Chr. den Freitod wählte. Ungeachtet dieses familiären Hintergrundes war Varus Anhänger Octavius’, des späteren Kaisers Augustus, wurde sogar Mitglied der Familie des Kaisers: er heiratete ~14 v. Chr. Vipsania Marcella (*27 v. Chr.), das einzige Kind des Marcus Vipsanius Agrippa, des späteren Schwiegersohns von Kaiser Augustus, aus der zweiten, 28 v. Chr. geschlossenene Ehe Agrippas mit Claudia Marcella maior (*41 v. Chr.). Nach deren Tod heiratete er 28 v. Chr. Claudia Pulchra (*14 v. Chr., †26 n. Chr.), Tochter der Claudia Marcella minor und des Konsul Lucius Aemilius Lepidus Paullus. Varus war bereits um 22 v. Chr. quaestor in Achaia und hat wohl auch Augustus auf dessen Reise durch die Länder des Orients (22/19 v. Chr.) begleitet. Für das Jahr 13 v. Chr. war er Konsul zusammen mit Tiberius, dem Stiefsohn und späteren Nachfolger des Augustus. 9/8 v. Chr. war er proconsul provinciae Africae und anschließend Regent in der Provinz Syrien. Als es nach dem Tode König Herodes’ in Judaea im Jahre 4 v. Chr. zu gegen die Herrschaft Roms gerichteten Aufständen kam, schlug er diese nieder und ließ lt. des jüdischen Historikers Josephus nach der Besetzung Jerusalems 2.000 Aufständische ans Kreuz schlagen. Anschließend hielt er sich einige Jahre in Romauf. 7 n. Chr. wurde er Statthalter und Oberbefehlshaber der Rheinarmee, die v.a. der Sicherung der Besitzungen Roms in Gallien gegenüber der rechtsrheinisch ansässigen Germanen diente. Als Varus 9 n. Chr. Straßen anlegen und Militärlager befestigen lassen wollte, wurden die unter seiner Führung stehenden römischen Legionen, die 17., 18. und 19. Legion, von einigen germanischen Stämmen unter Führung von Arminius, der zuvor in römischen Legionen gedient hatte, bei dem heutigen Kalkriese im Teuteburger Wald in einen Hinterhalt gelockt und vollständig aufgerieben. Als Augustus die Nachricht von der Vernichtung der Legionen und demTodes des Varus, der sich noch auf dem Schlachtfeld das Leben genommen hatte, erfuhr, soll er - schwer betroffen - lt. Sueton (*~70 n. Chr., †~130/140 n. Chr.) ausgerufen haben: “Quintili Vare, legiones redde!” (dt. Quintilius Varus, gib die Legionen zurück!).
Bislang war angenommen worden, daß die Römer mit dem Sieg der Germanen über die Legionen des Varus ,auf weitere weitere größere Militäraktionen gegen die Germanen auf deren Gebiet verzichtet hätten. Aufgrund von archäologischen Ausgrabungen im Sommer 2008 im Gebiet am Harzhorn wurde jedoch festgestellt, daß im Zeitraum zwischen 230 und 235 n. Chr. eine überlegene Streitmacht von römischen Legionären und Hilfstruppen, die vermutlich mindestens aus 1.000 Mann bestand und u.a. mit Artillerie hochgerüstet war, Germanentief in deren Gebiet in einer Schlacht bei Kalefeld vernichtend geschlagen hat.
Varusschlacht (pinxit Johann Peter Theodor Janssen,1870-73)
Rom, Augustus Mausoleum, Marsfeld
Hinweis: Der Eingang des Grabmals wurde von Bronzetafeln flankiert, die den Rechenschaftsbericht des Kaisers, die res gestae divi Augusti, enthielten, daneben standen zwei Obelisken.
Italienischer Politiker; Sohn eines wohlhabenden Grundbesitzers aus Piemont; studierte Sozialwissenschaften und Jura und legte sein Examen an der Universität Genua ab. Im Ersten Weltkrieg 1917 eingezogen, war er als Leutnant an den Schlachten der Österreicher gegen die Italiener an der Isonzo-Front eingesetzt, wo er sich durch Mut und Tapferkeit auszeichnete. 1918 wurde er Mitglied der Partito Socialista Italiano (PSI) und studierte in Florenz am Institut Cesare Alfieri Politikwissenschaft. Unter dem faschistischen Regime Benito Mussolinis war er als Antifaschist von 1927 bis 1935 in Haft und anschließend bis 1943 in der Verbannung. Nach seiner Rückkehr nach Italien gründete er u.a. mit Pietro Nenni (*1891, †1980) den PSI neu und war einer der Führer in der italienischen Widerstandsbewegung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war er 1945/46 und erneut von 1950 bis 1952 Chefredakteur der sozialistischen Parteizeitung Avanti!. 1946 war er Mitglied der verfassunggebenden Versammlung und von 1948 bis 1953 Senator, von 1968 bis 1978 Präsident der Abgeordnetenkammer und von 1978 bis 1985 Staatspräsident. Als es während seiner Amtszeit zu einer Reihe von brutalen Morde gegen Staatsanwälte und Richter kam, trat er entschieden gegen die Mafia auf. Während der dramatischen Ereignisse um die Entführung Aldo Moros (*1916, †1978) im Frühjahr 1978 lehnte er - im Gegensatz zu der Mehrheit der Mitglieder der Sozialistischen Partei - als Verfechter einer linea della fermezza (Standpunkt der Festigkeit) jegliche Verhandlungen mit den Brigate Rossi (Roten Brigaden) ab. Außerdem verurteilte er die Apartheidpolitik in Südafrika, die Militärdiktaturen in Südamerika und den Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 in Afghanistan. Als er sich einer zweiten Amtsperiode weigerte, wurde er gegen Ende seiner Präsidentschaft zum Senator auf Lebenszeit gewählt. Unvergeßlich bleibt Pertinis Reaktion auf das dritte Tor der italienischen Mannschaft beim Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1982 zwischen Italien und Deutschland in Madrid, als er seinen Finger in Richtung der deutschen Delegation oder des spanischen Königs ausstreckte, als wolle er sagen: “Niemand kann uns jetzt noch besiegen.“ Außerdem küßte er nach dem Ende der Spiele die Fahne des Weltmeisters Italien, eine Geste, die alle seine Nachfolger beibehielten.
Stella San Giovanni (Prov. Savona)
Augustus-Mausoleum (Goggle Earth)
Deutscher Politiker (SPD); nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und studierte nach dem Ende des Krieges zunächst Medizin in Freiburg im Breisgau, dann Rechtswissenschaften an den Universitäten Breslau, Frankfurt am Main und Heidelberg. 1920 trat er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ein und war von 1920 bis 1921 als Korrespondent für die Frankfurter Zeitung tätig. Nach seiner Promotion 1921 an der Breslau arbeitete er als Korrespondent bzw. Redakteur für verschiedene Zeitungen, darunter für die Vossische Zeitung und die Kattowitzer Zeitung. Zwischenzeitig war er als Richter an Amtsgerichten tätig, bevor er bis 1932 persönlicher Referent des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun war. Nach der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten emigrierte er 1933 über die Tschechoslowakei nach Frankreich und nach der Besetzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht weiter nach Spanien und Portugal. Aus den Vereinigten Staaten kehrte Weichmann 1948 schließlich nach Deutschland zurück. In Hamburg wurde er 1957 Finanzsenator und 1965 Erster Bürgermeister der Hansestadt (bis 1971).
Hamburg, Friedhof Ohlsdorf
Paris, Cimetière du Père Lachaise
Polnischer Politiker und General; einer Familie des katholischen Kleinadels entstammend; wuchs in der Nähe von Białystok auf. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges floh die Familie 1939 nach Litauen und wurde im Juni 1941 nach dem Einmarsch der Roten Armee von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD ins Altaigebirge deportiert, wo er und sein Vater zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Zu jener Zeit zog er sich ein Augenleiden, hervorgerufen durch Schneeblindheit, zu, weswegen er später meistens eine Brille mit dunklen Gläsern trug. Im Juli 1943 schloß er sich der Berling-Armee, polnischen Einheiten der Sowjetarmee, an und nahm an den Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg teil. Nach dem Ende des Krieges wurde er an der Polnischen Infanteriehochschule und an der Generalstabsakademie ausgebildet. 1947 trat er der kommunistischen Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PZPR) bei, wurde 1956 General, 1957 Divisionskommandeur und 1960 Leiter der Politischen Hauptverwaltung der polnischen Volksarmee. 1961 wurde er Mitglied des Sejms, des polnischen Parlaments, und zugleich stellvertretender Verteidigungsminister. Seit 1964 bereits Mitglied des Zentralkomitees der PZPR, stieg er 1965 zum Generalstabschef auf und wurde 1968 Verteidigungsminister. Ab 1971 war er auch Mitglied des Politbüros der Partei. Während der von der Gewerkschaft Solidarnosc organisierten Streikwelle wurde er im Februar 1981 zum Ministerpräsidenten Polens und im Dezember desselben Jahres auch zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei ernannt. Als Regierungschef der Volksrepublik Polen verhängte er noch im selben Monat das Kriegsrecht und und verbot die Gewerkschaft. Im Juli 1983 wurde das Kriegsrecht schließlich aufgehoben und der ”Militärrat der nationalen Rettung", den Jaruzelski geleitete hatte, aufgelöst. Von 6.11.1985 bis 19.7.1989 war er Staatsratsvorsitzender der Volksrepublik Polen und von 1985 bis 1990 Staatsoberhaupt Polens. Sein Versuch, eine politische Liberalisierung und Reformmaßnahmen im Bereich Wirtschaft durchzuführen, um die angespannte innenpolitische Lage zu entspannen, blieben erfolglos und stießen zudem auf die Ablehnung eines Großteils der Bevölkerung. Im Dezember 1990 trat Jaruzelski zurück; sein Nachfolger als Staatspräsident wurde der Führer der Solidarnosc, Lech Walesa. Ein 1996 gegen ihn und andere angestrengter Gerichtsprozeß wegen der Mitverantwortung an der blutige Niederschlagung der Arbeiterproteste in Danzig, Gdingen und Stettin im Jahre 1970, die er später damit erklärte, daß ansonsten die Gefahr eines Einmarsches der Sowjetarmee zu befürchten gewesen sei, wurde nach zeitweiliger Einstellung auf Beschluß des polnischen Obersten Gerichtshofs im Oktober 2001 wieder aufgenommen.
Werke u.a.: Hinter den Türen der Macht (1992).
Warschau, Cmentarz Wojskowy na Powązkach
Charlotte “Lotte” Ulbricht née Kühn
Deutsche Politikerin (SED); Tochter eines Hilfsarbeiters und einer Heimarbeiterin; arbeitete nach Volks- und Mittelschulabschluß als Büroangestellte. 1919 trat sie der Freien Sozialistischen Jugend bei und zwei Jahre später auch der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). In Berlin war sie dann im Zentralkomitee (ZK) als Stenotypistin tätig, später auch in Essen. In den Jahren 1922 und 1923 - und erneut von 1926 bis 1927 als Archivarin - arbeitete sie bei der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) in Moskau, bevor sie für drei Jahre Mitglied des ZK der KPD und der KPD-Reichstagsfraktion wurde. Anschließend war sie bis 1931 Sekretärin in der Handelsvertretung der UdSSR in Berlin. Noch im selben Jahr emigrierte sie mit ihrem ersten Ehemann Erich Wendt, der 1936 ein Opfer der stalinistischen Säuberungen und 1941 nach Sibirien deportiert wurde, nach Moskau, wo sie wie andere Exilianten im Hotel Lux wohnte. Während sie bis 1935 als Hauptreferentin bei der Kommunistischen Internationale tätig war, studierte sie an der Akademie für Marxismus-Leninismus und in einem Fernstudium an der Kommunistischen Universität in Moskau. Danach bekam sie die Auftrag, Walter Ulbricht bei seiner Tätigkeit in der Auslandsvertretung bzw. der Operativen Leitung der KPD in Paris und Prag als Sekretärin und Dolmetscherin unterstützend zur Seite zu stehen. Nachdem Ulbricht Ende April 1945 als Kopf der “Gruppe Ulbricht” aus Moskau nach Deutschland mit dem Auftrag zurückgekehrt war, die Interessen der UdSSR im besetzten Deutschland zu vertreten, kam auch sie wieder nach Deutschland und leitete sie die Allgemeine Abteilung des ZK der KPD. 1951 wurde sie die zweite Ehefrau des inzwischen zum DDR-Staatsratsvorsitzenden avancierten Ulbricht und war als solche bis zu seinem Tode seine engste Vertraute und Beraterin Ab Mai 1953 studierte sie am Institut für Gesellschaftswissenschaften und schloß das Studium 1959 als Diplom-Gesellschaftswissenschaftlerin ab. Anschließend war sie bis 1973 Mitarbeiterin am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED tätig, an dem sie für die Redaktion der vom Institut herausgegebenen Reden und Schriften ihres Mannes verantwortlich war. Außerdem war sie Mitglied der Frauenkommission beim Sekretariat des Zentralkomitees und beim Politbüro des Zentralkomitees der SED. Im Juli 1973, kurz vor dem Tode Walter Ulbrichts, zog sie sich in den Ruhestand zurück. Nach seinem Tode mußte sie die Siedlung in Wandlitz, in dem die Mitglieder des Poltibüros wohnten, verlassen und zog in den Majakowskiring nach Pankow, in das ehemalige DDR-Regierungsviertel, in dem sie mit ihrem Mann früher schon gewohnt hatte.
Ungeklärt blieb bis heute der Tod von Maria Pestunowa, Tochter einer bei einem Luftangriff der Alliierten auf Leipzig ums Leben gekommenen ukrainischen Zwangsarbeiterin, die Ulbricht 1946 adoptiert hatte. Beate Ulbricht, wie sie nach der Adoption hieß, wurde 1991 in ihrer Berliner Wohnung erschlagen aufgefunden. Die Umstände ihres gewaltsamen todes sind bis heute ungeklärt.
Auszeichnungen u.a.: Vaterländischer Verdienstorden (1959, 1963 und 1978), Karl-Marx-Orden (1969, 1983), Großer Stern der Völkerfreundschaft (1988).
Besuch in Leipzig 1964: Lotte und Walter Ulbricht, links: Erich Honecker (Bild, Ausschnitt: Bundesarchiv ,
Berlin-Weßensee. Städtischer Friedhof
Deutscher Politiker (SPD); Sohn eines Gerichtsvollziehers; war 1884 zunächst als Schreiber in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig und von 1893 bis Dezember 1895 war er Bürovorsteher bei dem prominenten Strafverteidiger und Publizisten Fritz Friedmann. 1895 gründete er den Zentralverein der Bureauangestellten Deutschlands, dem er bis zur Fusion mit dem Verband der Verwaltungsbeamten der Krankenkassen 1908 vorstand. Nachdem er 1902 seinen Arbeitsplatz wegen der gewerkschaftlichen Tätigkeit verloren hatte, machte er sich als Gastwirt selbständig, gab diese Tätigkeit jedoch bereits nach einem Jahr auf und wurde hauptamtlicher Leiter des gewerkschaftlichen Zentral-Arbeitersekretariats. Von 1908 bis 1918 hatte Bauer, ab 1912 Aufsichtsratsvorsitzenden der neu gegründeten gewerkschaftlich-genossenschaftliche Volksfürsorge, das Amt des zweiten Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands inne. 1912 wurde er als Abgeordneter in den Reichstag gewählt und war seit 1915 Mitglied des Haushaltsausschusses. 1917 gründete er als Gegengewicht zur extremistischen Deutschen Vaterlandspartei gemeinsam mit Friedrich Meinecke den Volksbund für Freiheit und Vaterland, der die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts und eine Parlamentarisierung des politischen Systems forderte. Unter Reichskanzler Max von Baden wurde er im Oktober 1918 Staatssekretär des Reichsarbeitsamtes, Nach der Novemberrevolution von 1918/19 wurde er in die Weimarer Nationalversammlung gewählt, der er von Juni 1920 bis Februar 1925 als Reichstagsabgeordneter angehörte. Seit Februar 1919 gehörte er dem Kabinett Scheidemann als Reichsarbeitsminister an. Nach Philipp Scheidemanns Rücktritt am 20.6.1919 wurde Bauer am folgenden Tag Reichskanzler und war einer der Unterzeichner des Versailler Vertrages, obwohl er selbst die Bedingungen des Vertrages ablehnte. Nach dem Kapp-Putsch im Jahre 1920 mußte er zurücktreten, da er sowohl das Vertrauen seiner Partei als auch und der Gewerkschaften verloren hatte, bekleidete jedoch im Kabinett seines Parteifreundes Hermann Müllers das Amt des Schatzministers und ab 1.5.1920 auch das Verkehrsressort, welches er bis zum 25.6.1920 leitete. 1921 gehörte er dem zweiten Kabinett Wirth als Vizekanzler und Reichsschatzminister an. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde er im Mai 1933 wegen vermutlich falschen Anschuldigungen im Zusammenhang mit Steuerdelikten für mehrere Wochen inhaftiert. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik war Bauer Geschäftsführer einer Berliner Wohnungsbaugenossenschaft.
Glienicke/Nordbahn (Brandenburg), ev. Friedhof
Deutscher Journalist, Politiker (SPD); Sohn eines Lehrers; wollte zunächst Musiker werden; absolvierte dann aber eine Ausbildung zum Industriekaufmann, bevor er im Zweiten Weltkrieg 1942 Soldat bei der Artillerie wurde. 1944 wurde er aus der Armee entlassen und zum Rüstungskonzern Rheinmetall-Borsig dienstverpflichtet - er hatte seine jüdische Großmutter verschwiegen. Nach dem Ende des Krieges wurde er 1948 Korrespondent für den Berliner Tagesspiegel in Hamburg und Bonn und war danach bis 1960 politischer Kommentator und zeitweise Chefredakteur beim Radio im amerikanischen Sektor (RIAS) in Berlin. 1960 berief Willy Brandt, der seit 1957 Regierender Bürgermeister des Westteils der geteilten Stadt war, Bahr, seit 1956 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), zum Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin - und war damit Sprecher des Senats. Zugleich wurde er zu einem der engsten Mitarbeiter und Berater. Egon Bahr, der unter Abkehr von der Hallsteindoktrin bereits am 15.7.1963: in der Evangelischen Akademie Tutzing seine berühmte Rede “Wandel durch Annäherung” im Hinblick auf eine künftige Ostpolitik gehalten hatte, war nach der Brandts Wahlsieg in der Bundestagswahl 1969, in der die SPD ca. 1 Million Wähler hinzugewonnen hatte, und seiner Wahl zum Bundeskanzler einer SPD/FDP-Koalition, war nun führend an der Konzeption der von Brandt 1969/70 eingeleiteten Ost- und Deutschlandpolitik beteiligt, die schließlich zur Wiedervereinigung führte. 1972 wurde Bahr Bundesminister für besondere Aufgaben und war anschließend bis 1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Nach dem Rücktritt Willy Brandts am 7.5.1974 gehörte Bahr dem Kabinett des ab 16. Mai amtierenden Bundeskanzlers Helmut Schmidt nicht mehr an, kehrte aber nach dem Rücktritt Erhard Epplers als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit als dessen Nachfolger bereits am 8. Juli in die Bundesregierung zurück. Nach der Bundestagswahl 1976 schied er am 14.12.1976 endgültig aus der Bundesregierung aus, war aber anschließend bis 1981 Bundesgeschäftsführer der SPD und bis 1990 Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstungs- und Rüstungskontrolle des Bundestages. 1990 beriet er den letzten DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (CDU). Egon Bahr blieb bis zuletzt insbesondere in außenpolitischen Fragen ein gefragter Berater der führenden SPD-Mitglieder.
Memoiren: Zu meiner Zeit (1996).
Berlin, Friedhof Dorotheenstädt und Friedrichswerdersche Gemeinden
Omnibus salutem!